Aktualisiert: Ärztehaus gewinnt Wettbewerb

Aktualisiert: Ärztehaus gewinnt Wettbewerb

Im Wettbewerb: „Menschen und Erfolge“ des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen wurde die Ärztehaus-Hülsenbusch eG nominiert.

Die Preisverleihung fand am 02.12.2022 in Berlin statt.

Unser Ärztehaus hat in der Kategorie „Versorgen“ den 1. Preis gewonnen. Gratulation!

Ausgezeichnet wurden bis zu 21 Projekte mit einem Preisgeld zwischen 2.000 und 7.500 Euro.

Bewerbungtext:

Themenfeld:  „Versorgen“

Bitte begründen Sie Ihre Zuordnung zum ausgewählten Themenfeld

Im oberbergischen Dorf Hülsenbusch wurde von Bürgern eine Genossenschaft zum Bau und Betrieb eines Ärztehauses gegründet. Das Projekt dient dem Erhalt bzw. dem Ausbau der ärztlichen, therapeutischen und pflegerischen Versorgung des Dorfes und seiner Umgebung. Gleichzeitig dient das Haus durch seine genossenschaftliche Struktur der Stärkung des Gemeinwesens sowie zu Wohnzwecken.

Beschreiben Sie Ihr Projekt

Nach dem Vorbild der bereits einige Jahre zuvor gegründeten Genossenschaft zum Erhalt der letzten Dorfkneipe, wurde eine Genossenschaft zum Bau und Betrieb eines Ärztehauses in dem ca. 850 Einwohner zählenden Dorf Hülsenbusch im Oberbergischen Kreis (OBK)  gegründet.  http://www.dorf-huelsenbusch.de/

Der langjährigen Hausarztpraxis im Dorf drohte das Aus, weil die Praxisräume in die Jahre gekommen waren und der ursprüngliche Arzt längst im Ruhestand war. Ein Kölner Internist, der gerade eine Hausarztpraxis  in der Nähe übernommen hatte, konnte überzeugt und gewonnen werden, auch die ärztliche Versorgung im Dorf Hülsenbusch mit seinem Team fortzuführen.  https://internist-marienheide.de/   Voraussetzung waren moderne, wirtschaftliche und für die Mitarbeiter attraktive Praxisräume.

Als zweites Standbein konnte eine Kinderarztpraxis aus der Kreisstadt gewonnen werden, die ihren Sitz ins Dorf verlegte. http://kinderarztpraxis-hülsenbusch.de/

Zum dritten wurde der schon bei der Revitalisierung des alten Rathauses ein Jahr zuvor verfolgte Wunsch nach Tagesbetreuung für pflegebedürftige Menschen im Ärztehaus umgesetzt und ein kompetenter Betreiber als Partner gefunden. https://uwe-söhnchen.de/

Die vierte Einheit beherbergt eine sprachtherapeutischen Praxis, die sich aus Anlass dieses Projektes  neu gegründet hat. http://www.sprachtherapie-gm.de/

Gemeinsam mit allen Nutzern (Mietern) und der Genossenschaft wurden von einem ortsansässigen Architekten individuelle und passgenaue Räume geplant, zu einer Gesamtheit zusammengefügt und zur Steigerung der Effizienz durch zwei Eigentumswohnungen ergänzt.

Gute Erreichbarkeit durch zentrale Lage im Dorf, Bushaltestelle direkt vor der Tür, Fahrdienste und Angebote für den auf dem Land sehr ausgeprägten Individualverkehr waren zur Gewinnung der Mieter wesentlich.

Zur finanziellen Grundausstattung der Ärztehaus Hülsenbusch eG waren 25% Eigenkapital, also  400.000€ notwendig um das 1,6Mio-Projekt zu stemmen. Schon vor Projektstart wurde diese Summe deutlich überschritten. Die finanzielle Beteiligungsbereitschaft der Menschen im Dorf ist derart gut, dass die Ärztehaus Hülsenbusch eG  nach 2 Jahren Betrieb bereits eine Eigenkapitalquote von über 50% und 250 Mitglieder aufweist.

Engagement

Geleitet wird das Projekt von einem professionell agierenden Vorstand und Aufsichtsrat, der aus dem Kreis der ursprünglich ca. 20 Personen umfassenden Projektgruppe hervorgegangen ist. Die agierenden Personen sind bereit und in der Lage ihre beruflichen Kompetenzen ehrenamtlich einzubringen. Im Dorf finden sich alle wichtigen beruflichen Qualifikationen zur Umsetzung eines solchen Projektes.

Wesentliche Voraussetzung dafür, dass Menschen das Dorf als Lebensraum wertschätzen, sind nicht nur Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten oder schnelles Internet,  sondern auch Schulen, Kindergärten und eben ärztliche, therapeutische und pflegerische Versorgung. Genau dieses Anliegen bedient das vorliegende Projekt. Die Älteren können bleiben und die Anwesenheit eines Kinderarztes, verbunden mit vielen weiteren Angeboten, Projekten und günstigeren Baupreisen ist Anreiz für junge Familien. Tatsächlich erlebt das Dorf Zuzug und Wachstum. Auch die zahlreichen umgebenden Dörfer und Weier profitieren von dem neuen Versorgungsangebot in Hülsenbusch.

 Beitrag zum Gemeinschaftsleben

Alle Genossenschaftsmitglieder und alle Mieter zeigen eine hohe Identifikation mit dem Projekt, dem Dorf und seinem Namen. Der Ortsname wurde durch die jahrelange intensive und professionelle Arbeit der Dorfgemeinschaft e.V. zu einem Label. Die Menschen im Dorf haben über viele kleinere und größere Projekte in den letzten Jahren verinnerlicht, dass es sich lohnt aufzustehen, anzupacken und sich zu engagieren, statt zu jammern und zu klagen, dass alles schlecht ist.

Die Genossenschaftsidee des aus dem vorletzten Jahrhundert stammenden Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat sich als hochaktuell, identitätsstiftend und für den ländlichen Raum als besonders tauglich erwiesen. „Was einer nicht schafft, das schaffen viele!“

Die Mieter des Ärztehauses sind vernetzt mit Dorfgemeinschaft, Dorfkneipe, Markt,  Kirchengemeinde etc.  Die Räume der Tagespflege z.B werden auch für Fremdnutzungen, wie Vorträge, Angehörigen-Selbsthilfegruppen etc. genutzt.

Seine Angehörigen nicht selber und zuhause zu pflegen, ist bis heute leicht stigmatisiert, auch wenn das unter den beruflichen und räumlichen Lebensbedingungen kaum möglich ist. Dadurch dass fast aus jeder Familie jemand Mitglied in der Genossenschaft ist, lässt sich dieser Schritt leichter erklären, weil es ja „das eigene Haus ist“.

Gerade die räumliche Verbindung der Pflegeeinrichtung mit der Kinderarztpraxis hat sich als sehr segensreich erwiesen, weil es zu guten Begegnungen für beide Seiten kommt. Natürlich spielt die Hausarztpraxis eine zentrale Rolle im Dorf und die sprachtherapeutische Praxis arbeitet eng mit den Kinderärzten zusammen.

Kreativität und Innovation

Die Probleme Einzelner sind immer auch die Probleme aller. Als der Bäcker in Ruhestand ging, sind Menschen aus dem Dorf auf die Suche gegangen und haben einen Nachfolger gefunden. Wenn in der Sparkassenfiliale die Tür klemmt, oder die Bank an der Kirche wackelt, dann kommt jemand aus der Nachbarschaft und repariert das. Wenn ein öffentliches Stück Straßenland mitten im Dorf vor sich hin kümmert, dann kommen Menschen mit Hacke und Schüppe und machen daraus ein Rosenbeet. Der Erfolg vieler kleiner Aktionen hat zu dem Selbstvertrauen geführt, ein 1,6 Mio-Projekt zu stemmen. So wird nicht nur Infrastruktur erhalten, sondern sogar neue hinzugewonnen, wie z.B. ein Wochenmarkt, der nicht nur zur Versorgung dient, sondern insbesondere eine soziale Einrichtung mit Kaffee, Kuchen und Begegnung ist.

Die formale Rollentrennung und das typische Gegenüber zwischen Vermieter, Mieter, Eigentümer, Vorstand, Aufsichtsrat und allen sonst Beteiligten wird aufgelöst. Es handeln immer Menschen, die mit ihren unterschiedlichen Interessen und Gaben in verschiedenen Rollen ein gemeinsames Ganzes ergeben. Genossenschaftsmitglieder sind auch Patienten, Ärzte sind auch Genossenschaftsmitglieder, Vorstände sind auch Hausmeister.

Die Generation der jetzt 40-60-jährigen baut an ihrer Zukunft im Dorf, weil sie erlebt, wie Eltern vereinsamen oder ihre Heimat verlassen (müssen) um den Kindern hinterherzuziehen. Der Geist dieses Engagements und die ganz praktischen Vorteile wirken anziehend auf junge Familien, die Platz und Schutzraum für ihre Kinder suchen.

Klimaschutz

Beim Bau des Hauses wurde auf die Trennbarkeit und Recycling-Fähigkeit  der verschiedenen Baustoffe geachtet. Insbesondere der Energiebedarf in der Nutzungsphase wurde optimiert. Der Primärenergiebedarf für Heizung und Warmwasser liegt bei 23 kWh(m²a) und erfüllt somit die höchste Effizienzklasse (A+)  gem. EnEV.  Heizwärme sowie Warmwasser werden zu 100% aus regenerativen Energien gewonnen.

Baukultur

Das Haus wurde in eine bislang ungenutzte Baulücke mitten im Dorf gebaut. Es stärkt mit seiner Baumasse die Einheit des Straßendorfes im Zentrum.

Baukultur leidet nicht unter zu wenigen Möglichkeiten, sondern darunter, dass viele Bauherren und Architekten mit dem Anspruch an ein Projekt herangehen, etwas noch nie Dagewesenes schaffen zu wollen. Die attraktivsten Orte und Architekturensembles entstehen jedoch eher durch die Begrenztheit oder Begrenzung der Möglichkeiten. Die Architektur des Ärztehauses spiegelt seine unmittelbare Umgebung wieder. Alle Farben, Formen und Materialien waren schon da und gehören zur oberbergischen Baukultur. Das Haus wirkt daher eher unauffällig und selbstverständlich.  Um eine hohe Identifikation der Menschen mit dem eigenen Projekt zu stiften, wurde bewusst auf eine dörfliche, historisierende Architektursprache gesetzt, ohne das Baudatum zu verschleiern. Dies entspricht den Vorstellungen der Genossenschaftsmitglieder, also der Eigentümer. Die Architektur spiegelt auf diese Weise den Konsensgedanken der genossenschaftlichen Trägerschaft.